RADIERUNGEN

Eine prägende Kindheitserinnerung sind die Stunden, die ich als kleiner Junge in der benachbarten Druckerei verbrachte. Es hat mich fasziniert, wie Herr Navky in seiner Druckwerkstatt Bleilettern zu Schriftzügen zusammensetzte und diese dann auf seiner Heidelberger Druckmaschine vervielfältigte. Damals wäre ich am liebsten Drucker geworden.

Nach dem Studium habe ich mich ab Mitte der 1970er Jahre intensiv mit Tiefdrucktechniken beschäftigt. Ich hatte kein Atelier und musste die nicht ganz ungefährlichen Arbeiten mit allerlei Ätzflüssigkeiten in meinem häuslichen Arbeitszimmer durchführen. Thematische Anregungen fand ich unter anderem in den Werken von A. Paul Weber, dessen kritische satirische Blätter den Nazis ein Dorn im Auge waren, nach dem Krieg aber Eingang in die Schulbücher fanden. Sein „Gerücht“ kannte damals jeder. An Weber faszinierte mich seine Art, menschliche Schwächen aufs Korn zu nehmen und satirisch auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen.

Über seine in Speyer lebende Schwägerin Gertrud Staudacher lud mich Weber im Sommer 1979 in sein Atelier ein. Dort sollte ich dem damals bereits 86jährigen Grafiker als Drucker zur Hand gehen. Leider mussten wir den Aufenthalt verschieben, und kurz darauf, im November 1980, verstarb der Künstler.

In meinem Atelier Mitte der 1980er Jahre mit einem Probedruck frisch aus der Presse

In den 1970er und 1980er Jahren erlebte die Kunst einen Aufschwung. Neben Konzeptkunst, Land Art und Pop Art etablierte sich der Realismus in Form der fotorealistischen Malerei neu. Daneben gab es die „Berliner Schule der Neuen Prächtigkeit“ und die „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“.

Die lokale Kunstszene setzte sich mit diesen Strömungen auseinander: Michael Heinlein, Klaus Fresenius, Benny (Karl-Heinz) Gutmann schufen kleinformatige Druckgrafiken. Joe Hachbarth zeigte seine Arbeiten in der Galerie Schlothane und Gertrude Degenhardt war mit ihren Arbeiten auf dem Madenburg-Festval vertreten.

Die Druckgrafik wurde für die Künstler ein beliebtes Medium, um ihre künstlerischen Arbeiten zu attraktiven Preisen einem meist jungen Sammlerpublikum anzubieten. Sie fanden meist guten Absatz und ihren Platz dicht gedrängt an der Wohnzimmerwand.

Ein Ingenieur der Druckmaschinenfabrik Frankenthal hatte Ende der 70er Jahre nach meinen Vorstellungen eine Radierpresse mit einem Vorgelege und großem Drucktisch konstruiert. Die Presse wurde damals in Frankenthal gebaut und in meinem ersten Atelier in der Altstadt von Speyer aufgestellt.

Im ehemaligen Atelier meines Künstlerkollegen Roland Berst, der an die Haardt gezogen war, hatte ich endlich den Freiraum, den ich für meine Arbeit brauchte.

Blick ins Freie

Eine erste Arbeit, die im neuen Atelier entstanden ist, zeigt den Blick durch das Atelierfenster über die Altstadtdächer auf den Kaiserdom. Ich hatte den Bleistiftentwurf gerade fertiggestellt, als ich das zuvor geschlossene Fenster öffnete. Eine neue Perspektive ergab sich für mich und später sieht man in der fertigen Radierung im aufgeklappten Fenster nicht eine Spiegelung sondern die „aufgeklappte“ Realität. Konsequenterweise blieb der Blick ins Freie dann auch der Blick auf eine leere Fläche …

Bei der Radierung ist ein komplexes Arbeitsvorgehen nötig: Der Entwurf wird mit Bleistift auf Papier angelegt, die Metallplatte wird mit Asphaltlack beschichtet, der Entwurf seitenverkehrt übertragen, mit der Radiernadel bis auf den Metallgrund eingeritzt und später im Säurebad stufenweise in die Platte geätzt. Möchte man auch Grauwerte haben, so wird die Blatte im Kolophoniumkasten bestäubt, das Harzkorn aufgebrannt, stufenweise abgedeckt und die verschiedenen mikrokleinen Zwischenräume zwischen Korn immer tiefer in die Platte geätzt. Dann werden mit dem Schabeisen die Übergänge nivelliert und evtl. noch mit dem Mezzotintoeisen gearbeitet.

Selbst der Druckvorgang ist aufwändig: Die Druckplatte wird zuerst erwärmt, die Druckfarbe aufgewalzt, mit einem Gazeballen die überschüssige Farbe wieder entfernt, mit einem sauberen Stück Gaze dann die Platte poliert und die Farbe „angezogen“. So kommt die Platte auf den Drucktisch, das vorher feucht gelagerte Druckpapier wird aufgelegt und mit dem Druckfilz abgedeckt. 

 

FRÜHE DRUCKGRAFIK

Von der Zeichnung zur Druckgrafik

Bleistiftzeichnungen waren immer die Voraussetzung meiner späteren Arbeit auf der Kupferplatte. Um dabei auch die ganze Palette grafischer Zwischentöne zu erreichen,  experimentierte ich schon früh mit der Aquatintatechnik.

Emanzengespräch, 1977
Aquatintaradierung, Auflage 30 Expl., 

Druckgrafik und Sozialkritik

Druckgrafik war schon immer das Medium, um gesellschaftskritische Themen zu visualisieren.
So thematisiert die Grafik „Immer dem Glück nach“ eine Jagd nach dem vermeintlichen Glück, ausgelöst durch die Verheißungen allgegenwärtiger Wohlstandsattribute.

Das Thema greift ein zentrales Motiv gesellschaftskritischer Kunst und Philosophie auf: Konsumkritik und die Illusion des Glücks durch materiellen Reichtum.

Immer dem Glück nach, 1980
Aquatintaradierung, Auflage 50 Expl., 

Der Erziehung 1. Teil

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war Nahrung knapp, und Essen wurde als wertvoll angesehen. Unsere Eltern hatten Hunger erlebt, deshalb galt Essen wegzuwerfenals moralisch falsch. Man wollte uns auch Disziplin und Dankbarkeit beibringen. Es ging nicht nur ums Essen, sondern auch um eine generelle Lebenshaltung: Dinge zu schätzen und nicht zu verschwenden: Der Kampf am Tisch wurde eingesetzt, den kindlichen Willen zu brechen.

Du wirst wohl deine Suppe essen müssen, 1977
Aquatintaradierung, Auflage 50 Expl.,